Die Bedeutung des 9. November 1938 für heute

Dr. Axel Töllner

19. November 2018

Kirchen haben eine besondere Verantwortung – Gedenken unverändert aktuell

Im Anschluss an die Mahnwache zum 9. November 1938 sprach Pfarrer Dr. Axel Töllner, der Beauftragte für christlich-jüdischen Dialog der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, im Evangelischen Gemeindehaus über die Bedeutung des 9. November 1938 für heute. Eingeladen hatten die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde, die CSU, die FDP, die Grünen, die SPD und die UCS.

An den Beginn seiner Ausführungen stellte Axel Töllner die Erinnerungen des damals 12jährigen Meier Schwarz an die Schreckensnacht in Nürnberg, in der die Wohnung seiner Eltern gnadenlos zerstört wurde. Weiter berichtete er von der Zerstörung der Synagoge in Miltenberg, die Jugendliche zunächst als bloße Zuschauer verfolgten, bis sie - angesteckt von den Handlungen der Erwachsenen - selbst bei der Zerstörung auch heiliger Kultgegenstände mitmachten. Dies war, so Töllner, nur ein Beispiel dafür, dass vielerorts die christliche Bevölkerung nicht lediglich abseits stehend und zuschauend das barbarische Geschehen verfolgte, sondern sich vielmehr daran aktiv beteiligte. Dem 9. November folgte nach Töllners Wissen bis in den letzten Winkel des deutschen Reiches eine Woche der Gewalt. Jüdische Opfer, die sich von der Polizei Hilfe und Ahndung der Untaten erwarteten, erfuhren das Gegenteil. Hier wies Axel Töllner auf eines der ersten Gesetze hin, die der 1949 neu gewählte Bundestag beschloss. Es war ein allgemeines Amnestiegesetz, mit dem sicher gestellt wurde, dass ein Großteil des am 9. November geschehenen Unrechts nicht verfolgt werden konnte. So wurde jedenfalls in den ersten Nachkriegsjahren häufig den Tätern mehr Nachsicht entgegen gebracht, als den Opfern Mitgefühl.

Vortrag 9.11.
Dr. Axel Töllner

Besondere Verantwortung der Kirchen

Axel Töllner sprach auch das Schweigen der Kirche zu der Gewalt gegen Juden am 9. November 1938 an. Nur vereinzelt hatten Pfarrer das Gespür für das Unrecht und den Mut, es anzuklagen. So der Pfarrer Johannes Zwanzger aus Thüngen in Unterfranken, einem Ort mit vielen jüdischen Mitbürgern. Dort gab es schon vor dem 9. November zwei Pogrome, das erste nach dem Anschluss Österreichs an das Reich, das zweite in der Sudetenkrise. Beide Male erhob Zwanzger dagegen in der Kirche seine Stimme. Er beklagte das Tun der christlichen Bevölkerung als eine Schande für die Gemeinde und sprach den Tätern das Recht ab, sich Christen zu nennen. Zu der Reichspogromnacht äußerte er sich am darauf folgenden Buß- und Bettag unmissverständlich. Zwanzger wollte kein Priester oder Levit aus dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter sein, die achtlos an den unter die Räuber Gefallenen vorüber gingen.

Gedenken unverändert aktuell

Aus dem damaligen Schweigen der Kirche leitet Axel Töllner eine besondere Verantwortung der Kirchen gegen judenfeindliche Haltungen ab, die es auch heute wieder gibt. Für ihn ist es erschreckend, wenn heute bei Demonstrationen von Rechtsradikalen wie im August in Dortmund öffentlich gesagt werden kann „wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ oder wie im Juni in Nürnberg die Vernichtung der Juden geleugnet, der Hitlergruß gezeigt und Hitlers „Mein Kampf“ gepriesen wird. Schweigendes Zuschauen ermuntert nach Töllners Auffassung nur diejenigen, die das Recht und die Menschenwürde verachten. Kein Verständnis verdienen für ihn Urteile bundesdeutscher Gerichte, nach denen die für das Judentum wesentliche Beschneidung von Knaben eine Körperverletzung darstelle oder Schmierereien an Synagogen lediglich als Ausdruck einer Kritik an der derzeitigen israelischen Politik gewertet würden. Wichtig war dem Referenten in diesem Zusammenhang auch ein Hinweis auf den Mechanismus der Gewalt, wie er sich in der Weimarer Republik zeigte und auch heute wieder wahrnehmbar ist. Zuerst kommt eine Verrohung der Sprache und alte Vorurteile werden mit der Floskel aufgewärmt: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Schließlich wird unterschieden zwischen „uns“ und „den anderen“, also den Deutschen und den Fremden - damals die Juden, heute etwa Muslime. Und schließlich beginnt auch körperliche Gewalt. Angesichts dieser Entwicklungen hat für Axel Töllner das Gedenken an die Reichspogromnacht seine Funktion in keiner Weise verloren.

Er schloss seine mit großer Zustimmung aufgenommenen Ausführungen mit einem Hinweis auf die Erklärung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom November 1998 zum Verhältnis von Christen und Juden. In ihr wird es als ureigenste Aufgabe der Kirche angesehen, sich von jeglicher Judenfeindschaft loszusagen, ihr dort, wo sie sich regt, zu widerstehen und sich um ein Verhältnis zu Juden und zu jüdischer Religion zu bemühen, das von Respekt, Offenheit und Dialogbereitschaft geprägt ist.

Zum Gelingen des Abends trugen Constanze Schneider mit ihrer Geige und Volker Graf am Klavier bei. Nachdrücklich und intensiv stimmten sie auf den Vortrag ein. Zwischendurch verstärkten sie die Wirkung des Gesagten und am Ende sorgten sie mit ihrer Musik für einen nachdenklichen Ausklang.

Hannes Schönfelder

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